© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Friwi-Werk Witte OHG

von Maximilian Schmidt

Sie kennt die Schleichwege – keine Frage! Denn in Stolberg ist Nadja Witte zu Hause, hier ist sie aufgewachsen, umgeben von Wäldern und Bergen, einem herrschaftlichen Schloss und den historischen Fachwerkhäusern. In mittlerweile vierter Generation leitet sie das Friwi-Werk und versorgt die Menschen in der Region mit süßen Köstlichkeiten: mit Keksen, Printen, Torten, Pralinen, Zwieback. Wir folgen den schnellen Schritten der Unternehmerin über das Kopfsteinpflaster. Entlang der bunten Häuser – keins gleicht dem anderen – gelangen wir in wenigen Minuten von der Fabrik ins Café. „Ich geh fast immer hier hinten lang. Das geht schneller und ist ruhiger“, erklärt sie uns, während sie in Gedanken ihren nächsten Termin vorbereitet: Die Besprechung einer Hochzeitstorte.

Friwi Werk Witte oHG Stolberg - Stanzwalze für Friwi-Kekse© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Der Name Friwi leitet sich von Friedrich Wilhelm Witte ab, Nadja Wittes Urgroßvater. Als dieser seine Konditorei in dem verwinkelten Fachwerkhaus Niedergasse 21, gleich neben dem Fürstlichen Konsistorium eröffnete, war es bereits die Dreizehnte in Stolberg. "Und das in so einem kleinen Ort!", entfährt es Nadja Witte. Es bedurfte folglich schon einer gehörigen Portion Ideenreichtum, Durchsetzungsvermögen und Mut, um hier einige Jahre später gar eine Fabrik zu errichten. Genau das taten Friedrich Wilhelm Witte und sein jüngster Sohn Georg. So entstand zwischen 1924 und 1926 in der Niedergasse 51, nur wenige Gehminuten vom Stammsitz entfernt, ein Fabrikgebäude mit großer Ofenanlage und modernen Maschinen. Das Geschäft boomte. In den folgenden Jahren beschäftigten die Wittes etwa 180 Menschen aus der gesamten Umgebung.

„Die Spezialität aus dem Hause Friwi war ein spezieller Dampfzwieback“, erfahren wir von der rührigen Unternehmerin und dass dieser verschiedene Preise gewann. Inzwischen sitzen wir im modernen Café in der Fabrik, genau in dem Raum, wo früher der Vorteig für die Printen in großen Bottichen drei bis vier Monate reifte. Das "Alte Printenlager" gibt es zwar so nicht mehr, aber das begehrte Stolberger Weihnachtsgebäck entsteht nach wie vor mit dieser langen Reifezeit. Auch der Zwieback wird noch nach altem Rezept gebacken. Gemeinsam mit Stolberger Lerchen, einer speziellen Wurst vom hiesigen Fleischer, wird der Sultanzwieback im sogenannten Stolberger Fresssack vertrieben, eine Typisch-Harz-Spezialität. Seit den Neunziger Jahren setzt sich Nadja Witte für die regionale Marke ein. Von rund 60 Gebäck-Sorten tragen derzeit 16 das begehrte Siegel.

Friwi Werk Witte oHG Stolberg - Mandelsplitter auf dem Laufband© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

„Bis zu sieben Sorten Gebäck produzieren wir am Tag“, erklärt Nadja Witte mit erhobener Stimme, um sich gegen den Maschinenlärm in der großen Produktionshalle durchzusetzen. Die Abläufe kennt sie genau, ebenso ihre 30 Angestellten. Freundschaftlich drückt sie ihre Mitarbeiterin, die geduldig Kekstüten mit Etiketten beklebt. Hunderte werden es am Ende des Tages sein. Die Chefin zeigt noch einmal, worauf sie Wert legt: Das Etikett muss gerade sitzen, stets im selben Abstand. „Für die Einheitlichkeit“, erklärt sie uns und fügt nachsichtig mit Blick auf die Kollegin hinzu: „Es ist ihr zweiter Arbeitstag.“ Dann erkundigt sie sich beim hauseigenen Schlosser nach dem Ofen. Die 50 Meter lange Anlage aus den Siebziger Jahren bildet das Herzstück der Fabrik. Ohne sie stünden die Bänder still, gäbe es keine Kekse. Der Ofen ist nicht die einzige ältere Maschine in dem denkmalgeschützten Gebäude. So schließt sich die neue, komplett verkleidete Kühlstraße nahtlos an die beeindruckende Glasurmaschine aus den Dreißiger Jahren an, die dank gläserner Wände, noch einen spannenden Einblick in ihr Tun gibt. „Die neuen Maschinen sind nicht immer ein Segen“, bemerkt Nadja Witte mit krauser Stirn. „Während die alten Anlagen sehr zuverlässig laufen und meist im Haus repariert werden können, bringen die neuen Probleme mit sich, die aufwendig behoben werden müssen.“ Aber zum Glück kann sich die taffe Unternehmerin auf ihren Lebensgefährten verlassen, der die Keksproduktion leitet.

 

Viele ihrer Angestellten hat Nadja Witte selbst ausgebildet. Sie möchte den jungen Leuten in der Region eine Perspektive geben. Um bei ihnen Freude an der Herstellung von Keksen und Torten zu entwickeln, erhalten sie schon im ersten Jahr neben den unerlässlichen Routineaufgaben viele kreative Freiräume. Abwechslung sei besonders wichtig, weiß Nadja Witte. Sehr intensiv arbeitet sie mit dem Stolberger Kinderheim zusammen, schon Schüler können den Betrieb während eines Praktikums kennen lernen. „Einmal organisierte eine Mutter für ihre Tochter ein Praktikum bei uns, um ihr zu zeigen, wie hart körperliche Arbeit ist. Sie sollte doch besser Abitur machen. Der Plan ging nicht auf. Es gefiel ihr zu gut bei uns.“ Doch nicht alle Auszubildenden bleiben für immer bei Friwi. Manche wollen Stolberg verlassen, um die Welt zu entdecken.

Als an Heiligabend des Jahres 1989 die Stolberger auf dem Markt zum traditionellen Weihnachtssingen zusammenkamen, herrschte eine ganz besondere Stimmung. Zur alljährlichen Besinnlichkeit und Vertrautheit gesellten sich Stimmen des Aufbruchs und der Veränderung. „‚Holt Euch Eure Fabrik zurück!‘, raunten uns die Leute damals zu.“ Wenn Nadja Witte heute davon erzählt, ist sie immer noch gerührt von dem Zuspruch, den ihre Familie in der Wendezeit erfahren hat. Es fällt ihr sichtlich schwer über diesen Teil der Friwi-Geschichte zu reden. Viele Emotionen und persönliche Erlebnisse sind damit verbunden. Als erste Familie in Sachsen-Anhalt stellten die Wittes den Antrag auf Rückübertragung - und als Letzte bekamen sie ihn von der Treuhand bewilligt. Drei lange, nervenaufreibende Jahre sollte der Kampf um die Fabrik und die Maschinen andauern, bis 1993 endlich wieder ein Friwi-Keks in Stolberg vom Band rollen durfte.
Parallel dazu krempelten der Konditormeister Ludwig Witte und seine Tochter die Ärmel hoch. Sie eröffneten eine Konditorei, dort, wo schon einmal alles begann, und 1992 ein kleines Café. Ohne zu zögern gab die Biochemikerin Nadja Witte ihre Doktorandenstelle in der Tierzucht Nordhausen auf, belegte Betriebswirtschaftskurse und Seminare in Mitarbeiterführung und lernte von ihrem Vater alles Wichtige über die Keks- und Tortenproduktion. Bis ins hohe Alter von 75 Jahren arbeitete dieser noch aktiv mit. Ihre Mutter hilft noch immer im Laden der Fabrik aus, wo das gesamte Sortiment für jedermann erhältlich ist. Und vielleicht, so hofft Nadja Witte insgeheim, wird ihr Sohn Robert irgendwann den Betrieb übernehmen.

 

Sie benutzen offenbar den Internet Explorer von Microsoft als Webbrowser, um sich unsere Internetseite anzusehen.

Aus Gründen der Funktionalität und Sicherheit empfehlen wir dringend, einen aktuellen Webbrowser wie Firefox, Chrome, Safari, Opera oder Edge zu nutzen. Der Internet Explorer zeigt nicht alle Inhalte unserer Internetseite korrekt an und bietet nicht alle ihre Funktionen.