© fotoweberei, Luca Weber

Harz Keramik

von Thorsten Schmidt

Steil führen die letzten Meter nach oben. Dann endet die schmale Straße direkt vor dem Atelier, wo ein Schild im Fenster zum Betreten des heimeligen Häuschens am Waldrand von Altenau einlädt. Die etwas versteckte Harz Keramik Altenau will gesucht, gefunden und entdeckt werden!
Über das gesamte Erdgeschoss hinweg erstreckt sich das tönerne Reich. Denn so unterschiedlich die Werke von Irene Schukies auch sind, eines haben sie gemeinsam: den Ton. "Dieser Rohstoff ist fantastisch, ein Material mit schier unerschöpflichen Möglichkeiten für kreative Arbeit", schwärmt die quirlige Rheinländerin und fährt sich mit dem Handrücken durchs hochgesteckte Haar. Ihre Finger glänzen noch grau und feucht vom Drehen an der Töpferscheibe, die sich gleich hinter der geöffneten Tür in der Werkstatt befindet.

Irene Schukies hat das Töpfern von der Pike auf gelernt. "Zu Beginn meiner Ausbildung musste ich ein halbes Jahr nur Tassen drehen", erinnert sie sich und lacht. Von ihrer Professionalität und Geschicklichkeit können wir uns sogleich überzeugen: Sie sitzt auf einem kleinen Hocker in einer Ecke des Ateliers. Vor ihr dreht sich die Scheibe mit einem Klumpen Töpfertons, den sie von einem Zehn-Kilo-Block abgetrennt hat. Das von ihr verwendete Material ist eine spezielle Tonmischung aus Rheinland-Pfalz. Der Lieferant hatte anfangs arge Probleme in der engen, steilen Straße. Inzwischen steuert der Fahrer seinen Laster gekonnt mit Schwung rückwärts bis zum Haus am Berg.

Das alte Häuschen hatte es Irene Schukies gleich angetan. "Wir hatten in vielen Regionen Deutschlands nach einer neuen Heimat und Wirkungsstätte gesucht", erzählt uns ihr Mann Christian Zineker. "Am Fuße des Mühlenbergs in Altenau sind wir nun sesshaft geworden." Und angekommen seien sie inzwischen auch, obwohl es nicht immer reibungslos verlaufe, wenn "rheinische Frohnaturen" auf eher zurückhaltende Oberharzer treffen. Er engagiert sich am Altenauer Runden Tisch, seit 2017 sogar als Sprecher, ist Mitglied im örtlichen Verkehrsverein und gründete 2019 den Altenauer Bürgerverein e. V. mit. Sie konnte über das Typisch Harz-Netzwerk mittlerweile viele fruchtbringende Kontakte zu Gleichgesinnten der Region knüpfen.

Harz Keramik - Die Wandung einer Vase wird modelliert© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Der Tonklumpen rotiert auf der Scheibe; benetzt von Irene Schukies' feuchten Händen. Kraftvoll drückt sie mal die Finger, mal die Handballen in das widerspenstige Material, gibt der noch unförmigen Gestalt einen Schwerpunkt. Von diesem ausgehend bildet sich langsam Symmetrie. Alles in rascher rotierender Bewegung. Nun üben erst die Daumen von oben Druck auf die feuchte Masse aus, dann die Finger. Eine Öffnung entsteht, wird größer, tiefer. Irene Schukies ist hoch konzentriert. Die Muskeln ihres gesamten Oberkörpers arbeiten sichtlich angestrengt. Eine Wandung erwächst. Und dann löst sich, schnell in die Höhe drängend, ein zylindrischer Hohlkörper. Das Ziel wird erkennbar: eine Vase.

Die Kraft der Bewegung aus dem Herstellungsprozess überträgt Irene Schukies in ihre Motive. So entstehen beispielsweise Momentaufnahmen sich bewegender Tiere als Appliken auf Tassen. Drang nach Bewegung, Lust auf Tanz. Schon als Kind hat Irene Schukies als Funkenmariechen jahrelang Grenzen getestet und wurde mit ihrer Gruppe sogar Deutscher Meister im Gardetanz. "Wir haben alle den Applaus auf der Bühne genossen", erinnert sie sich. "Aber der Erfolg kam nur durch wirklich hartes Training." Und durch Disziplin. Davon profitiere sie heute noch.

Nach der Schule wurde sie Textil-Einzelhandelskauffrau und leitete eine Filiale. Schon bald merkte sie, dass sie sich nach etwas anderem sehnte. Sie schloss sich mit alternativen Künstlern zusammen, die in einer stillgelegten Stuckfabrik in Bonn lebten und wirkten. "Hier durfte ich so sein, wie ich bin", reflektiert Irene Schukies mit glänzenden Augen, "und vor allem erkannte ich, was mich glücklich macht. Es war das Handwerkliche, das Körperliche." Sie arbeitete in verschiedenen Gewerken und entdeckte das Töpfern für sich. Nach der Lehre in einem mittelständischen Unternehmen, das bald von der Flut der Billigkeramik aus Fernost hinweggespült wurde, studierte sie Design an der Fachschule Keramik bei Koblenz. "Viele kreative Anregungen erhielt ich dort und lernte vor allem die Technik der Gipsformherstellung." Dank ihrer fundierten Ausbildung kann sie heute ihre irdenen Ideen wahlweise auf der Scheibe drehen, in eine Form gießen oder frei aufbauen. Oder auch mehrere Techniken kombinieren. So entsteht beispielsweise das einzigartige Geschirr der Typisch Harz-prämierten Serie von Tassen, Bechern, Schüsseln, Schalen, Tellern, Kannen, Krügen, Dosen...

Harz Keramik - Gestalterisches Nacharbeiten© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

An der rotierenden Scheibe nimmt Irene Schukies indes den Schaber zuhilfe, um die bauchige Form der Vase auszuarbeiten. Der Zylinder läuft breit auseinander, eine Art kurzer Hals entsteht. Sie greift mit der Faust in die dunkle Öffnung, der ganze Unterarm verschwindet. Die Scheibe dreht sich rasend weiter, während Wandung und Gefäßboden moduliert werden. Dünn und zerbrechlich. Hochwertig. Die Töpferin muss Kraft und Sensibilität gleichermaßen aufbringen. Das hat sie über Jahre trainiert – beim Töpfern, aber auch beim Tanzen, Zeichnen, Modellieren und selbst beim lyrischen Schreiben. Sie legt sich nicht fest, sondern sucht in den unterschiedlichen Kunstformen das, was zu ihr passt, um es mitzunehmen zur nächsten Station ihrer Entwicklung. Vieles von dem, was Irene Schukies bisher in ihrem Leben unternahm, ist Kunst oder streift künstlerisches Terrain. Als Künstlerin sehe sie sich jedoch nicht: "Da fühle ich mich eingeschränkt, den Zwängen des kommerziellen Kunstbetriebes unterworfen", sagt sie etwas nachdenklich. "Ich möchte aber vor allem meine Ideen und Visionen umsetzen. Deshalb verstehe ich mich einfach als eine Kreative."  

Die Vase auf der Töpferscheibe hat ihre endgültige Form erreicht. Es folgt noch ein wenig "Feinschliff", dann bremst Irene Schukies die Scheibe ab und stellt das Gefäß zum Trocknen auf einen Tisch zu weiteren Rohlingen. Nach etwa acht Stunden werden sie "lederhart" sein und können dann weitergestaltet werden. Vielleicht mit einem Hirsch, Luchs oder Wildschwein, um die beliebte Harz-Serie zu ergänzen. "Ich suche die Ursprünglichkeit", erklärt Irene Schukies. "Im Harz habe ich sie gefunden", und reicht uns einen fertigen Milchkrug mit Eichhörnchen-Motiv. Der Krug verbindet in Optik und Haptik deutlich traditionelles Kunsthandwerk mit modernem Zeitgeist. Henkel und Eichhörnchen-Applik simulieren faseriges braunes Holz und fühlen sich auch ähnlich an, während sich der Krug selbst mit heller Glanzglasur zurücknimmt.

 

In den Anfangsjahren war die Harz Keramik Altenau viel auf Märkten und in Geschäften der Region erhältlich. Inzwischen läuft der Absatz überwiegend im Verkaufsraum des Ateliers und im eigenen Online-Shop. Diesen betreut Christian Zineker. In einer Ecke des Ladens sind Scheinwerfer, Stativ und Kamera aufgebaut, um eine zweifarbige Kanne für die Präsentation im Internet abzulichten. "Als nächstes Werbeprojekt stellen wir vor dem Atelier eine riesige Tasse auf, die als Bühne für Selfies dienen soll", verrät uns der Ehemann der Keramikerin. Im Frühjahr 2020 soll der Hingucker fertig sein und Passanten zu dem Foto-Spaß animieren, um ihre Schnappschüsse dann in sozialen Medien zu teilen. Ein Modell der Foto-Tasse steht bei unserem Besuch bereits auf dem Trocknungstisch. Fröhlich schaut eine frei aufgebaute tönerne Figur beispielgebend über den Tassenrand.

Viel Freiheit lassen sie ihren Kunden beim Einkauf. Jeder kann sich sein Geschirr individuell zusammenstellen. "Da staunen wir oft über die Kombinationen", gestehen sie uns. "Es ist so spannend, die Kunden beim Abwägen zu beobachten, und im Gespräch erhalten wir manchmal sogar neue Anregungen für unsere Arbeit." Vorübergehend ausverkaufte Teile werden schnell neu gefertigt und den Kunden nach Hause geschickt. Selbst besondere Motiv-Wünsche setzen sie gern um. "Wir wollen mit unserem Kunsthandwerk etwas leisten, das die Industrie nicht kann. Das sorgt für Zufriedenheit und spricht sich herum." Eine Zufriedenheit, die sich auf beiden Seiten finde, sowohl beim Käufer als auch beim Hersteller. Wer sich beim Besuch des Altenauer Ateliers etwas Zeit nimmt, kann diese Zufriedenheit spüren. Beim Suchen, Finden und Entdecken.

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