Als wir den umtriebigen Geschäftsleuten beim Einrichten des Likör-Ladens mit dem eindeutigen Namen "Hochprozentig Harz" über die Schultern schauen, wird schnell klar: Hier brennen zwei für ihre Ideen! Karsten Eckmayr hockt in sichtlich unbequemer Stellung in der Holzverkleidung des Mühlsteins - der sogenannten Bütte - und drischt mit einem Feustel die alten Bretter aus dem hölzernen Zylinder. "Diese werden durch Plexiglas ersetzt, damit man die beiden Mahlsteine noch sehen kann", erklärt der aus Lübeck stammende Touristiker, der etliche Jahre als Guide u. a. in Australien verbracht hat, bevor er sich im Harz niederließ. "Wir sind sehr froh, dass der Mühlstein hier erhalten bleibt. Altes mit Neuem zu verbinden, ist genau unser Ding." Auch die weitere Ausstattung ist überwiegend Ergebnis eigener Kreativität und handwerklichen Geschicks. Seien es an den Wänden die alten Obstkisten mit heutiger Regalfunktion ("Die haben wir einfach angegokelt!") oder der in die neue Gipskartonwand integrierte historische Türrahmen zum Verkostungsraum ("Die Tür arbeiten wir gerade zu Hause auf.") mit seinen sehr wohnlich wirkenden selbst geklebten Großornament-Tapeten: Nicole Tondera und Karsten Eckmayr halten gern alle Fäden in ihren Händen. Auch wenn das manchmal Lehrgeld fordert: "Nachdem wir den Fußbodenbelag in unserem Laden in Gernrode verlegt hatten, mussten wir feststellen, dass wir die Trittschalldämmung vergessen hatten", erzählt die junge Chefin inzwischen mit einem stirnrunzelnden Lächeln. Über Nacht haben die beiden alles wieder aufgenommen und fachgerecht neu verlegt. "Damals konnten wir darüber gar nicht lachen."
Zum Lachen war den beiden Likörproduzenten auch später nicht immer zumute. Denn solch eine Firma erfordert nicht nur Kreativität, guten Geschmack und Freude an Entwicklung. Hier müssen täglich profane betriebswirtschaftliche Aufgaben und Probleme bewältigt, weittragende Entscheidungen getroffen werden. Lieferantenauswahl, Personalpolitik, Expansion... Da sind Weitsicht, Umsicht und Augenmaß gefragt. Nicole Tondera sprüht vor Ideen und Tatendrang. Unübersehbar ist jedoch auch die ihr innewohnende Besonnenheit. Kein Wunder, denn die ausgebildete Steuerfachwirtin erstellte noch bis 2014 Bilanzen, Lohnabrechnungen und Jahresabschlüsse. 20 Jahre lang saß sie über Zahlen, rechnete und prüfte. Irgendwann waren darunter auch die Zahlen der Harzer Likörfabrik aus Gernrode. Als deren Chefin Helga Rolle signalisierte, sich zur Ruhe setzen zu wollen, geriet bei Nicole Tondera etwas innerlich in Bewegung. "Ich habe gern im Steuerbüro gearbeitet", entsinnt sie sich heute, "aber für Kreativität und Experimente, für den eigenen Geschmack, war da freilich kein Raum." Und so erhielt der Wunsch nach Veränderung Futter. Schließlich kam das Angebot der Älteren: „Führen Sie doch den Betrieb weiter!“ und verursachte bei der Jüngeren schlaflose Nächte, lange Gespräche mit Freunden und Verwandten, vor allem mit dem Mann an ihrer Seite. Sie entschied sich. Und in kürzester Zeit entwickelte sich aus einer Steuerfachfrau mit festem Arbeitsplatz eine risikofreudige Unternehmerin – und sie kann es sich anders gar nicht mehr vorstellen.