Der Oberharzer Wasserwirtschaft auf der Spur
„Mama, ist es noch weit?“ Welche wandernde Mutter kennt die Frage nicht. Wir wissen, dass mit Kindern nicht der Weg das Ziel ist, sondern oft nur das Ziel und damit das Ende der Tour zählt! Wie schön ist es da, wenn man als Eltern so kreativ und kompetent unterstützt wird wie in Clausthal. Hier befindet sich nämlich seit 1930 das älteste Bergwerksmuseum des Harzes - „Aber wir wollen nicht ins Museum!“ rufen meine vier Kinder schon beim Parken (Museen haben bei ihnen einen ähnlich schlechten Ruf wie Wanderungen – zu Unrecht, wie sie ein paar Tage später feststellen dürfen, dazu aber an einer anderen Stelle mehr!) „Wir gehen auch nicht ins Museum,“ beruhige ich sie. „Wir starten hier eine Bergbau-Rallye!“ Die Mienen werden heller.
Das Oberharzer Bergwerksmuseum hält nämlich neben seiner – allerdings durchaus auch für Kinder interessanten Ausstellung – etwas ganz Besonderes für meine Wandermuffel bereit: den eGuide EMIL. Der kleine Computer ist nicht größer als ein Smartphone und gibt auf kindgerechte Weise einen Einblick in die Oberharzer Wasserwirtschaft, die seit 2010 als bedeutendstes vorindustrielles Energiegewinnungssystem der Welt zum UNESCO-Welterbe der Menschheit zählt. Von den einst vorhandenen 600 km Gräben sind heute noch fast 70 km funktionstüchtig, von ursprünglich 120 Teichen werden heute noch 66 Teiche unterhalten, und von rund 30 km unterirdischen Wasserläufen sind heute noch fast 20 km in Funktion. Über Wiesen- und Waldlehrpfade wollen wir eine Zeitreise durch die Jahrhunderte machen. Und in dem kleinen eGuide, den wir an der Museumskasse ausleihen können, wartet die Comicfigur Emil, die mit uns eine digitale Schnitzeljagd zu spannenden Stationen des Bergbaus machen will. Das Gerät funktioniert per Touchscreen und ist kinderleicht zu bedienen.
Plötzlich haben es meine vier Landschaftsdetektive eilig loszumarschieren. Ihr kleiner viereckiger Freund zeigt uns, wo es lang geht: „Folge dem Weg bis zur nächsten Gabelung, biege dort links ab und du findest auf der rechten Seite eine Bank!“ Die Kids stürmen los und erreichen nach wenigen Metern die erste Dennert-Tanne, die gelbe Informationstafel, die uns überall im Harz begegnet. Aber anstatt der üblichen Erläuterungen finden die jungen Wanderer einen dreistelligen Zahlencode. Wer ihn richtig eingibt, knackt den Wissenstresor und erfährt mehr über den Ort. Anhand von 3D-Animationen und vielen Bildern vermittelt Emil auf spielerische Weise Wissenswertes über das Bergbaugebiet rund um Clausthal-Zellerfeld. Dass es hier vor 100 Jahren noch ganz anders aussah zum Beispiel, warum es hier so viele Teiche gibt oder dass der vor uns liegende Carler Teich für den Bergbau eine bedeutende Rolle gespielt hat und wie eine große Badewanne funktioniert.
„Was ist das dort drüben im Teich für ein seltsames Bauwerk auf Stelzen? Ein Badehäuschen?“ fragt Emil da. Wer weiterklickt, lernt, dass dies ein Striegelhaus ist, in dem der „Stöpsel“ oder „Striegel“, wie die Bergleute gesagt haben, eingebaut ist. Hob man diesen Striegel an, floss das Wasser unter dem Teichdamm hindurch und setzte ein großes Wasserrad in Bewegung. So wurde Energie erzeugt und zum Teil über bis zu 1200 Meter lange Feldgestänge weitergeleitet. Die Kinder staunen, als sie ein paar Schritte weiter das riesengroße Wasserrad sehen, und das ist sogar nur ein verkleinertes Modell des Originalrades.
Wir wandern auf schmalen Wiesenpfaden, über Hügel und durch den Wald, der heute zu 70% aus Fichten besteht; „doch eigentlich gehört ein solch eintöniger Wald gar nicht hierher“, weiß Emil: „Vor 1000 Jahren wäre hier noch bunter Mischwald gewesen – Buchen, Erlen, Ahorn und Eschen, Eichen, Linden und Hainbuchen.“ Aber der Bergbau benötigte viel Holz, für den Grubenausbau, die Wasserräder und alle übrigen Maschinen, und da Fichten schnell und gerade wachsen, verdrängten sie die ursprünglichen Mischwälder. Die Kinder sind total vertieft in die Spurensuche und merken gar nicht, wie Fragen über Fragen sie über die verschiedenen Stationen der Route führen. Da geht es über Gräben und Brücken, vorbei an alten Bergwerksanlagen, Schächten und einem alten Steinbruch, der heute ein Abenteuer-Spielplatz ist, wo wir natürlich eine kleine Auszeit nehmen und picknicken.
Die Kinder entscheiden sich danach freiwillig sogar für die große Runde, die noch zwei Stationen mehr im Programm hat. Wir zählen Gullideckel, um den richtigen Abzweig zu erwischen, stehen mitten im Wald und trotzdem über dem Eingang einer großen Schachtanlage, von der man nichts mehr ahnt. Parallel zu einem alten Wassergraben geht es in Richtung Ringer Zechenhaus, das ursprünglich gar nichts mit den Zechen zu tun hatte. Von dort führt der alte Feierabendweg der Bergleute wieder zurück nach Clausthal-Zellerfeld. Für die eigentlich nur 3,5 km lange Route haben wir gut zweieinhalb Stunden gebraucht, weil es so viel Spannendes zu hören und zu entdecken gab. Wie weit es noch ist, wurde ich nicht ein einziges Mal gefragt...