Seltenes Naturphänomen auf Norddeutschlands höchstem Gipfel
Nebel wabern um die Gipfel, das schwache Licht der Abenddämmerung versetzt die Landschaft in einen mystischen Glanz. Plötzlich erhebt sich eine riesige Schattengestalt am Horizont, schemenhaft und geheimnisvoll füllt sie den Himmel aus. Naturphänomene wie das Brockengespenst, die noch heute mystisch und rätselhaft erscheinen, versetzten Bewohner des Harzes früher in Angst und Schrecken. In den letzten Jahrhunderten, als der Harz noch wenig besiedelt war und Bergleute mühselig die Bodenschätze des Gebirges zu Tage förderten, entstanden mystische Geschichten zu unerklärbaren Phänomenen. Sagen um Hexen, Teufel, Berggeister oder Zwerge entstanden, um Ängste der Bergleute zu mindern und sonderbare Vorkommnisse zu erklären.
Während viele dieser Gestalten nur der Fantasie der damaligen Harzbewohner entsprungen sind, gibt es ein reales Naturphänomen, das als Mysterium gedeutet wurde: das Brockengespenst. Riesige Schattengestalten waren am Himmel zu sehen und bewegten sich auf den Betrachter zu. Der Sage nach handelte es sich dabei um eine Frau, die Besucher vom Brocken vertreiben wollte.
Doch dieses überirdische Geheimnis hat eine simple natürliche Erklärung. Es ist ein optischer Effekt, der 1780 erstmals auf dem Brocken von Johann Esaias Silberschlag beobachtet und auch beschrieben wurde. Die Erscheinung des Brockengespenstes beruht auf einer Luftspiegelung. Wenn der Schatten des Beobachters auf eine Nebel- oder Wolkenschicht fällt, wirkt dieser weitaus größer als in Wirklichkeit. Da der Schatten nicht auf einer festen Fläche abgebildet wird, sondern von jedem einzelnen Wassertropfen des Dunstes widergespiegelt wird, kann das Auge diesen nicht richtig erfassen und überschätzt die Größe maßlos. Vergleichbar ist dies mit einer Kinoleinwand, auf der die Bilder vergrößert projiziert werden.
Da Nebel keine glatte Oberfläche hat, entstehen 3D-Bilder, die sich aufgrund der wabernden Nebelschwaden auch bewegen, wenn der Beobachter ganz ruhig steht. Versetzt man sich nun in eine Zeit, zu der der Aberglaube noch stark in der Bevölkerung verankert war, kann man sich die Ängste und Unsicherheit der Harzbewohner bei Sichtung des Brockengespenstes vorstellen. Zumal dieser Riese scheinbar aus dem Nichts auftaucht und sich auch noch bewegt.
Das Brockengespenst ist allerdings nicht nur im Harz zu Hause. Dieser Begriff hat sich für den beschriebenen Effekt fest in der Meteorologie etabliert. So ist dieses Phänomen auch auf anderen Bergen zu beobachten. Künstlich kann dieser Effekt zum Beispiel von Autoscheinwerfern oder Neonlicht hervorgerufen werden.
Mit 1.141 Metern ist der Brocken als höchster Berg im Harz und in Norddeutschland gut geeignet, um dieses Phänomen einmal selbst zu beobachten. Beste Chancen hat man an nebligen Herbsttagen oder kurz vor dem Sonnenuntergang, wenn die Sonne tief steht. Oftmals entsteht noch ein weiterer optischer Effekt: Die Glorie, bei der um den Schatten herum zusätzlich ein Lichtkranz erscheint. Allerdings müssen viele Faktoren zusammenspielen, damit dieser Effekt eintritt. Selbst langjährige Mitarbeiter des Nationalparks Harz hatten noch nicht das Glück, einem Brockengespenst zu begegnen. So bleibt es ein verborgener Schatz, der sich nicht jedem Brockenbesucher offenbart.