"Und dann gab es da noch diesen Traum", verrät uns Susann Thielecke, "diese Sehnsucht nach einem Leben in und mit der Natur. Uns war selbst das beschauliche Ilsenburg zu städtisch." Sie suchten nach einem Grundstück im Oberharz und wurden in Tanne fündig. Nachdem sie durch Kälbchen Elsa mit dem Bio-Bauer-Virus infiziert worden waren, gründete Uwe Thielecke 2001 einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb. Er schaffte weitere Rinder der seltenen Rasse Rotes Höhenvieh vom Harzer Schlag an und ließ die Tiere auf den Wiesen um Tanne für jeden gut sichtbar grasen. Allein die Präsenz der braunen Kühe veränderte das Landschaftsbild. Gleichzeitig blühten die alten Bergwiesen im Wortsinn prächtig auf, denn die extensive Viehhaltung erhöht die Artenvielfalt auf den Weideflächen. Dies schätzen derweil auch die Verantwortlichen im Nationalpark Harz, die für die Schierker Feuerstein-Wiesen seit Jahren die Dienste der rotbraunen Landschaftspfleger in Anspruch nehmen. 2019 weideten gar einige Kühe auf der Brockenkuppe, um die aggressiven Heidekrautgewächse zugunsten der sensiblen Brockenanemone zurück zu drängen. "In den Trittsiegeln der Rinder wächst die Symbolblume des Brockens besonders gut", weiß Uwe Thielecke zu berichten. "Im Bayerischen Wald und in den Vogesen hat man damit bereits sehr gute Erfahrungen gemacht."
Aufwendige Landschaftspflege mit einer hohen Umkoppelungsfrequenz war zu Beginn das wichtigste Standbein der Firma Brockenbauer. Oft genug wurde Uwe Thielecke bei Fachtagungen von Rinderzüchtern ob seiner "romantischen Alm-Viehwirtschaft" belächelt, wenn diese über ihre "wahren" Probleme in der Massentierhaltung berieten. Heute lacht niemand mehr. Der Tanner Biohof gilt als größter Zuchtbetrieb für Rotes Höhenvieh weltweit. "Wir zeigen, dass es geht!", unterstreicht der Landwirt. "Wir produzieren Rindfleisch ökologisch verantwortungsvoll und ökonomisch erfolgreich." Zum Erfolgskonzept gehören – mit dem Einstieg beider Töchter – eine hauseigene Schlachterei sowie die Erlebnisgaststätte mit Hofladen und Streichelgehegen.
Auf der modern gestalteten Internetseite kann sich der Fleisch-Gourmet nicht nur das nächste Schlachtpaket vormerken lassen, sondern auch über ein Buchungsportal komfortabel einen Tisch reservieren. "Ursprünglich war ein kleiner Gastraum geplant, in dem wir hin und wieder eine Reisegruppe beköstigen wollten", erinnert sich Tochter Julia. Nun wirbelt die studierte Betriebswirtin im hübschen Dirndl durch das große Steakhouse. "Wir haben etwa 100 Plätze auf zwei Etagen und im Sommer noch zusätzlich 60 Plätze auf dem Hof zur Verfügung. Doch oft reicht selbst das nicht aus." Immer mehr Menschen möchten hochwertiges Biofleisch direkt beim Erzeuger essen. Preisgekröntes natürlich erst recht. Der Höhenvieh-Rinderbraten erhielt 2017 die Auszeichnung "Kulinarischer Stern Sachsen-Anhalt", der Harzer Wildkräuterschinken vom Angler Sattelschwein bekam die Auszeichnung 2018. Das Typisch Harz-Prädikat tragen weitere Produkte und sogar die samstägliche Führung über den Biohof ist Typisch Harz!
"Das ist toll, was Sie hier machen!", ruft eine ältere Dame zwei Tische weiter zu uns herüber. Leicht verlegen bedankt sich die Brockenbäuerin. Zu uns gewandt: "Über solch ein Lob freuen wir uns jeden Tag aufs Neue, denn bei Weitem nicht jeder Gast akzeptiert unsere Firmenphilosophie." Der Wunsch nach ständiger Verfügbarkeit einer konsumgeprägten Überflussgesellschaft vereinbart sich schwer mit tiergerechter Zucht und Aufzucht sowie einem schonenden Umgang mit den Ressourcen. Hier wird jedes Tier nach der Schlachtung komplett verwertet und vermarktet. "Filet ist nur ein äußerst kleiner Teil am Rind, ebenso wie Zunge oder Bäckchen", argumentiert Susann Thielecke engagiert, "Gerichte mit derartigen Zutaten fehlen deshalb auch mal einige Zeit auf der Speisenkarte." In der Auslage des liebevoll gestalteten Hofladens liegt frisches Fleisch ebenfalls selten, denn das ist kurz nach einem Schlachttermin, in etwa 70 Paketen verteilt, bereits auf dem Weg zu den Kunden, die rechtzeitig bestellt haben.
Für ausreichend Strom auf dem Schaubauernhof sorgen ein Scheitholzofen mit Wärmepuffer und eine Photovoltaikanlage, die beispielsweise moderne Tiefkühlzellen mit Wärmerückgewinnung speist. Alles gebaut, ohne zusätzlich Fläche zu versiegeln. Selbst das gehört zu einer gelebten Öko-Strategie, die sich inzwischen auch längst die etwa 15 Mitarbeiter der Familie Thielecke zu eigen gemacht haben. Denn ohne zuverlässiges Personal geht es nicht. Und so wirbelt hier für jeden sichtbar täglich ein eingespieltes Team.