Die Fichte ist in aller Munde. Und das nicht nur, weil Torsten Höher ihre Nadeln in Bier, Schnaps und Wurst verarbeiten lässt. Denn extreme Bedingungen wie Dürre und Borkenkäfer haben den Nadelbaum in Bedrängnis und damit ins Gespräch gebracht. „Unsere Schuld ist es sicher nicht!“, witzelt Torsten Höher. Der Quedlinburger hat die Fichte zum Kern seiner Marke erkoren. Jedes Jahr im Mai begibt er sich mit Frau und Schwiegermutter hinaus in den Harzer Wald, um die Jungtriebe der Fichte zu sammeln. Entsprechend aufbereitet, überlassen sie ihre Ernte anschließend dem Metzger und dem Brauer ihres Vertrauens zur Weiterverarbeitung.
Harzer Fichteln Quedlinburg
von Maximilian Schmidt
"Im Familienurlaub in Frankreich, auf einem Dorffest, entstand die Spinnerei“, plaudert Torsten Höher gleich drauf los, als wir ihn auf seinem Hof unterhalb der Altenburg besuchen. "Es gab Musik, Bier und grobe Würste, die in einer aufgesägten Tonne gegrillt wurden." Dieses Bild ließ den bekennenden Wurstliebhaber nicht mehr los. Er wollte seine eigene kreieren, anders als Thüringer und Nürnberger. Eine Wurst typisch für den Harz. Da fiel seine Wahl auf die Fichte, die vielerorts das Bild des Harzer Waldes prägt. Noch, möchte man sagen angesichts des Klimawandels. "Wir brauchen für unsere Produkte keine großen Mengen. Und vorsorglich haben wir auf unserem Grundstück 50 junge Fichten gepflanzt", beruhigt er uns.
Der Idee folgte die Tat. Auf der Suche nach einem Partner, der einerseits Lust auf ein solches Abenteuer hat und andererseits über die Kapazitäten verfügte, traf Torsten Höher auf Sven Matthes von der traditionsreichen Quedlinburger Fleischerei Oswald. Der Fleischer produziert seitdem die „Harzer Fichteln“. Die schlanken, mit Fichtennadeln verfeinerten Bratwürste werden immer paarweise serviert. Und wie schmecken die nun? „Wir haben unterschiedliche Rezepte probiert und mit Freunden verköstigt. Am Ende hat sich die simpelste Variante durchgesetzt und erhielt sogar das Typisch Harz-Zertifikat“, so der Erfinder. Nur Salz und Pfeffer kommen in die Wurst. Für das würzige Aroma sorgen allein die Fichtennadeln mit ihren ätherischen Ölen. Auch Schnaps und Bier werden mittlerweile mit dem Harzer Nadelbaum veredelt. Gemeinsam mit der Harzer Likörmanufaktur aus Gernrode entwickelten Torsten Höher und seine Frau Juliane Jüttner einen Fichtenschnaps. Für ein Fichtenbier konnten sie den Goslarer Braumeister Odin Paul gewinnen, der ihnen gelegentlich eine Charge braut. Die Besonderheit: Das Bier wird nicht im Nachhinein aromatisiert, sondern die Fichtenzweige kochen direkt im Biersud mit. Beide Partner sind ebenfalls mit dem Typisch Harz-Siegel zertifiziert.
Im Jahr 2000 gab Torsten Höher seinen Job auf, um fortan als selbstständiger Musiker über Mittelaltermärkte Europas zu touren. Von Frühjahr bis Herbst war er auf Achse, meist an den Wochenenden. Zudem versuchte er sich als Stadtführer in Quedlinburg. Mit Erfolg. Bei seiner Recherche im Stadtarchiv stieß er auf einen Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1498, geschlossen zwischen Stadt und Stadtpfeifer. Dieser sollte offizielle Anlässe und Feste musikalisch begleiten, aber vor allem sollte er nicht weniger als 16 verschiedene Instrumente beherrschen. Torsten Höher lacht: „Das passte!“ Seither schlüpft er regelmäßig in das Kostüm des Stadtpfeifers und führt Besuchergruppen mit allerlei Geschichten durch die historische Altstadt.
Sein Talent sprach sich auch andernorts herum. Zehn Jahre lang fuhr er als Teufel in den Sonderzügen der Harzer Schmalspurbahnen zur Rockoper "Faust" mit auf den Brocken. Zuvor hatte er Goethes Text studiert und die derbsten Zitate verinnerlicht, um sie dann auf seinem Gang durch die neun Waggons zum Besten zu geben. Das Kostüm hat ihm seine Frau genäht. Und noch während er uns davon erzählt, bringt er sich in Position und spielt sodann mit leuchtenden Augen pantomimisch seinen Lieblingspart vor, wie er sich beim Betreten des Waggons den Teufelsschwanz in der Tür einklemmt. Köstlich. Wie die Harzer Fichteln. Diese verkauft er ebenfalls in fantasievoller Kleidung, die ihn als soliden Handwerker, aber auch ein wenig als verrückten Erfinder ausweisen. In dunkler Hose, hellem Hemd, wahlweise Hosenträger oder Weste und stets mit einem zierlichen Hut steht er vor seinem liebevoll gestalteten Marktwagen, grillt Würste, zapft Bier und unterhält seine Gäste.
Wenn kein Markttag ist, werkelt er gemeinsam mit seiner Frau, die als Bildhauerin von sich reden macht, auf ihrem großen Gehöft am Stadtrand von Quedlinburg. Zwei rechteckige Silotürme aus Backstein ragen weit in den Himmel hinauf und erinnern an die Zeit, als hier noch Korn zu Schrot gemahlen wurde. "Als meine Frau das völlig heruntergewirtschaftete Wohngebäude sah, hat sie sich sofort darin verliebt", erinnert sich Torsten Höher. „Das will ich haben!“, formulierte sie ihren Herzenswunsch. Das Paar traf sich – die kleine Tochter an der Hand – mit dem damaligen Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft und fand wohl die richtigen Worte, die der Familienvater bis heute nicht vergessen hat: „Bitte verkaufen sie uns das Haus. Wir brauchen es zum Glücklichsein." Es hat geklappt. Mittlerweile haben die beiden das Wohnhaus mit viel Eigeninitiative saniert und renoviert und auch den Rest des Grundstücks samt der eindrucksvollen Silos erworben. Mit Probenraum und Atelier, Schlosserei und Werkstatt, Gemüsegarten und Pferdekoppel schuf sich die Familie über die Jahre einen kreativen Lebensraum.
Jetzt, Mitte November, arbeiten Torsten Höher und Juliane Jüttner unter Hochdruck an ihren selbstgebauten Verkaufsständen, vorzugsweise aus alten Holzbrettern, Metallteilen und anderen gebrauchten Materialien. Das Schweißen hat sich der Musiker selbst angeeignet. Stolz zeigt er uns seine Schlosserei. Derweil klettert die Künstlerin mit dem Akkuschrauber in der Hand geschwind die Leiter an einer schindelgedeckten Holzhütte hinauf, dekoriert Fichtenzweige, Lichter und Bilderrahmen, die sie übers Jahr gesammelt hat. Für "Advent in den Höfen" gestalten sie mit ihren anheimelnden Ständen einen ganzen Hof im Stil der vorletzten Jahrhundertwende, ein kleiner Weihnachtsmarkt an der Heiligegeiststraße mit musikalischer Unterhaltung, handbetriebenem Kinderkarussel, Kunsthandwerk und kulinarischen Köstlichkeiten, darunter natürlich die Harzer Fichteln.
Als Händler engagieren sie sich vor Ort, wollen aktiv mitgestalten. Vor kurzem übernahm Torsten Höher den Vorsitz der Quedlinburger Kaufmannsgilde.
Stillstand scheinen die engagierten Unternehmer nicht zu kennen. Das nächste Projekt steht bereits in den Startlöchern. Am Kornmarkt hinter der Marktkirche haben sie die Ruine eines Bürgerhauses aus dem 16. Jahrhundert erworben und wollen diese sukzessive zu einem Ort der Begegnung mit Restaurant, Kleinkunst und Ausstellungen ausbauen. Und bis dahin verwöhnen sie zu ausgewählten Anlässen die Besucher schon mal in provisorisch perfekter Ruinenkulisse mit Musik, Glühwein und einer besonderen Harzer Wurst.
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