© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Harzköhlerei Stemberghaus

von Maximilian Schmidt

Harzköhlerei Stemberghaus - Sascha (links) und Immo Feldmer © Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Gekonnt kreiselt der Holzscheit in den Händen des Köhlers. Mit geschultem Blick weist er ihm seinen Platz zu, eng angeschmiegt an seine hölzernen Geschwister. Kein Hohlraum darf im Meiler entstehen. „In solch einer Kammer befindet sich Luft, und die ist Gift für das Verkohlen. Wir wollen den Sauerstoffgehalt ja kontrollieren“, erklärt Immo Feldmer, während er den nächsten Holzscheit vom Stapel greift. Gemeinsam mit Bruder Sascha errichtet er einen neuen Erdmeiler. In zwei Etagen werden die meterlangen Hölzer rund um den Quandelschacht, eine Art hölzerner Schornstein, gestapelt. Scheit um Scheit wächst der Meiler. Am Ende wird er einen Durchmesser von sieben Metern und eine Höhe von 2,50 Meter erreichen. Doch bis dahin müssen sich die Köhler noch um zwei weitere Meiler kümmern, das nächste Holz vorbereiten, Gäste in ihrer großen Köhlerhütte versorgen und wissbegierige Besucher durch ihr Museum führen.

Peter Feldmer hatte mit der Köhlerei damals noch nichts im Sinn. Nach dem Fall der Mauer erwarb der Forstingenieur 1991 die Köhlerei und konnte glücklicherweise zunächst die Handelsverträge mit den Supermarktketten weiter bedienen. Mit sieben Mitarbeitern produzierte er etwa halb so viel wie bisher. Doch Konkurrenzdruck aus Osteuropa wuchs, die Preise fielen. 1995 zog Peter Feldmer die Reißleine und belieferte nur noch kleine Händler in der Region. "Immer häufiger verliefen sich Touristen zu uns, angezogen von dunklen Rauchschwaden, und schauten neugierig, was hier passierte", erinnert sich Peter Feldmer lächelnd. "Schnell entwickelte sich daraus die Idee! Wir bauen einen Schaumeiler und ein kleines Museum mit Imbiss." 1996 stieg Sohn Sascha in das Unternehmen ein und übernahm, kaufmännisch ausgebildet, neben der Köhlerei fortan die Buchhaltung sowie den Ein- und Verkauf. Drei Jahre später stieß Immo dazu. Mittlerweile stellt das Dreiergespann durchschnittlich fünfzig Tonnen Holzkohle im Jahr her und beköstigt die wachsende Schar der Gäste in einer geräumigen Köhlerhütte. Diese bildet zudem eine angesagte Lokalität für zahlreiche, übers Jahr verteilte Veranstaltungen, organisiert mit regionalen Partnern. Über das Köhlerhandwerk informiert das – übrigens – erste und bis heute einzige Köhlereimuseum Deutschlands. Darüber hinaus vermitteln originale Relikte auf dem Köhlerpfad nach Hasselfelde, der auch Teil des Harzer Hexen-Stiegs ist, authentisch Wissen.

Harzköhlerei Stemberghaus - Pflegearbeiten am mittelalten Meiler© Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Von April bis Oktober zünden die Feldmers insgesamt etwa 15 Meiler auf traditionelle Weise an, so oft wie kein anderer Betrieb oder Verein weltweit. Meist betreuen sie drei Meiler gleichzeitig, die mit einigem zeitlichen Abstand nacheinander errichtet wurden und somit die unterschiedlichen Stadien der Holzkohlegewinnung eindrucksvoll veranschaulichen.

Während Sascha und Immo in der einen Ecke den neuen Meiler aufbauen, wendet sich Vater Peter Feldmer einem großen Erdhügel auf der gegenüberliegenden Seite zu. Schmale Rauchfahnen steigen aus faustgroßen Löchern. Vor zehn Tagen haben die Köhler diesen Meiler aus Harzer Buchenholz gestapelt, ihn mit altem Stroh eines befreundeten Hasselfelder Bauern abgedichtet und mit Erde bedeckt. Dann schütteten sie nach und nach Glut durch den Quandelschacht in den Meiler hinein. Ganz allmählich bildet sich von innen nach außen Kohle. „Mittlerweile hat er sein Volumen halbiert“, merkt Peter Feldmer an und ruft seine Jungs herbei. Immo greift sich den „Stachel“, eine drei Meter lange Holzlanze, und sticht gefühlvoll in den Erdmeiler hinein. Je tiefer der Stachel eindringt, desto weiter ist der Verkohlungsprozess fortgeschritten. „Außerdem lesen wir die Rauchzeichen“, erklärt uns Vater Feldmer geheimnisvoll. Farbe und Intensität geben Auskunft über das Innenleben des Meilers. Und das ist wichtig. Denn es besteht immer die Gefahr, dass der Meiler aufflammt. Das kommt schon mal vor, zum Beispiel wenn nicht sauber gestapelt wurde und Luftkammern die Glut unkontrolliert mit Sauerstoff versorgen. Oder bei ungünstigem Wind, dem größten Feind des Köhlers. Die Meiler müssen daher permanent überwacht und alle zwei bis drei Stunden kontrolliert werden. Früher blieb der Köhler deshalb ständig im Wald in der Nähe des Meilers. Auch heute wohnen die Köhler in unmittelbarer Nachbarschaft, Immo sogar auf dem Gelände. "Bevor er schlafen geht, schaut er nach Mitternacht ein letztes Mal am Meilerplatz vorbei", erzählt uns sein Vater. "Sollte er auf seinem Kontrollgang etwas bemerken, alarmiert er uns." Denn besonders nachts arbeitet niemand allein. Das wäre zu gefährlich. "Gerade auf dem frisch entzündeten Meiler bricht man ganz schnell mit dem Fuß ein“, weiß Sascha nur zu gut und klettert flink die angestellte Holzleiter hinauf. Mit einem langstieligen Holzhammer klopft er vorsichtig den Hügel unter sich fest. Warm wird es unter seinen Füßen, schmutzig sowieso. "Früher hatten die Köhler Holzsohlen unter den Schuhen, um sich zu schützen."

Harzköhlerei Stemberghaus - Der Meilerplatz am Waldrand © Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Schlaflose Nächte bilden heutzutage glücklicherweise die Ausnahme. Dafür sorgen die Köhler selbst, indem sie die Meiler abends abdichten. So dauert der Verkohlungsprozess insgesamt zwar länger als früher, es muss aber niemand mehr direkt am Meiler schlafen. Peter Feldmer zeigt auf eine kleine Hütte am Rand des Meilerplatzes. Dort nächtigen die Köhler heute nur noch zu besonderen Köhlertreffen. Die Augen von Peter Feldmer beginnen zu leuchten, wenn er vom Europäischen Köhlerverband spricht, der alle paar Jahre auch im Harz gastiert und dessen Vizepräsident er ist. Im Stemberghaus wurde der Verband 1997 gegründet. Heute engagieren sich circa 2 500 Mitglieder in zwölf Ländern für den Erhalt der Köhlerei in ganz Europa. Mit Erfolg! Seit 2014 steht das Köhlerhandwerk auf der nationalen Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Erklärtes Ziel ist die weltweite Anerkennung. Dazu muss das Netzwerk der Köhler auf weiteren Kontinenten ausgebaut und die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet vorangetrieben werden.

Neben dem Handwerk spielt auch das Brauchtum eine wichtige Rolle. „Die Köhler verbrachten viel Zeit allein im Wald“, berichtet Peter Feldmer, „und erfanden allerlei Instrumente und Lieder“. In seinem Museum hängen eine Hillebille, mit der man sich über weite Distanzen akustisch verständigte, und ein Köhlergeläut. Letzteres erinnert an ein Xylophon. Berherzt nimmt der Museumsgründer einen Stock, schlägt auf die an Bändern befestigten Äste von unterschiedlicher Länge und erzeugt bizarre Klänge. Ein Köhlerchor kommt auch regelmäßig in Hasselfelde zusammen und singt sich gemeinsam durch das überlieferte Liedgut. Dabei tragen die Sängerinnen und Sänger zwar traditionelle Kleider, aber eine typische Köhlertracht gibt es nicht. Einzig das rote Halstuch diente als Erkennungszeichen. Im Dorf wurde es stolz zur Schau getragen, und bei der Arbeit schützte es beim Atmen im Rauch, diente zum Naseputzen genauso wie zum Schweiß- und Rußabwischen.

Harzköhlerei Stemberghaus - Immo, Peter und Sascha Feldmer © Schmidt-Buch-Verlag, Thorsten Schmidt

Peter, Sascha und Immo Feldmer stehen inzwischen vor einem tiefschwarzen, kniehohen Haufen. Es handelt sich um den dritten Meiler, der bereits geerntet wird. Sascha holt sich eine Zinken-Gabel und stößt fest in den Meiler hinein. Schwarzer Staub steigt auf, legt sich auf Haut, Kleidung und taucht die weißen Schuhe neugieriger Touristen in seichtes Grau. Vorsichtig siebt Sascha riegelgroße Kohlestücke aus dem schwarzen Dunst. Vom Buchenscheit zur Kohle. „Nun müssen wir nur noch die Kohle zu Kohle machen!“, witzelt Peter Feldmer. Im Köhlerladen nebenan stehen die dekorativen Papiersäcke mit dem "Schwarzen Gold" zum Verkauf bereit – seit Jahren unter dem Qualitätssiegel Typisch Harz. Immo Feldmer stolz: "Ich glaube, wir waren die ersten bei Typisch Harz, die keine Kulinaria herstellen." Dann stutzt er kurz und ergänzt: "Das stimmt aber eigentlich nicht ganz, denn Holzkohle kann man ja essen!" Peter Feldmer hat bereits 2003 die Kleine Köhler-Fibel verfasst und darin das Wichtigste über Holzkohle als Naturheilmittel zusammen getragen. Wer bei einer Führung seinen Erzählungen lauscht, erfährt noch mehr über die vielseitigen Eigenschaften und Verwendungen von Holzkohle, die beinahe viel zu schade für den Grill ist.

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