Ein Scherz, ein lautes Lachen und plötzlich jagt alles quiekend durcheinander. Karl-Heinz Koithahn beruhigt uns: "Keine Angst! Die Tiere wurden von Ihren unbekannten Stimmen erschreckt." Über die Brüstung des Außenstalles gelehnt, beginnt er mit seinem Schlüsselbund zu klappern. Ein vertrautes Geräusch, das schnell Ruhe in die Schweine-Gruppen bringt. Und flugs strecken die grunzenden Tiere sogar uns ihre schnüffelnden Rüssel entgegen.
Koithahn's Harzer Landwurst Spezialitäten GmbH
von Thorsten Schmidt
"Wertvoller Schweinebestand" steht auf einem Schild am Tor der kleinen Aufzuchtanlage in Elbingerode am Südharz. Pfleger Dieter Woiwode hat gerade ausgemistet und neues Stroh im Außenbereich des Stalles verteilt. Vor uns wuselt und grunzt es in den Stallabteilungen mit Schweinen unterschiedlichen Alters. Jedes hat rein rechnerisch doppelt so viel Platz wie vorgeschrieben, nutzt aber in der Gruppe die ganze Unterkunft – kuschelt hier mit einem Artgenossen oder kratzt sich an einer Bürste. Im Inneren des offenen Stalles lädt duftendes Heu zum Nestbau und zum Fressen ein.
Karl-Heinz Koithahn ist kein Landwirt, sondern Fleischer. Mit Schwester Beate übernahm er 1999 den elterlichen Betrieb, den ihr Vater 1959 in Hattorf gegründet hatte und dessen Wurzeln bis in die 1930er Jahre reichen, als Opa Karl in Northeim eine Fleischerei führte. Der Preisverfall auf dem industriellen Fleischmarkt und der Aufbau von Frischfleischtheken in Supermärkten stellten die neue Koithahn-Generation vor die Frage: "Womit können wir uns künftig am Markt behaupten?" Ihre Antwort lautete: "Wir möchten uns mit besonderer Qualität abheben, wollen nachhaltig und mit Respekt vor Natur und Umwelt produzieren, ehrlich und transparent!" Die jungen Unternehmer suchten sich verlässliche Landwirte, die diesen Weg mit ihnen gehen wollten. Sie fanden im Umfeld mehrere kleine Bauernhöfe, deren Besitzer heute froh über die Kooperationen sind.
Vom Ehrgeiz gepackt, kauften sich die Geschwister 2006 sogar einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb, um ihre Visionen bei der Haltung von Schweinen umzusetzen und Erfahrungen zu sammeln. Sie errichteten einen Schweinestall mit angeschlossenem Freigelände. "Wir wollten die Aufzucht zum Wohle der Tiere verbessern und dadurch die Qualität unserer Erzeugnisse erhöhen", beleuchtet Karl-Heinz Koithahn die Anfangsjahre. Doch der Freilauf bereitete Probleme, die sensiblen Schweine benötigten doch mehr Zuwendung als gedacht. Koithahn und Woiwode beobachteten daraufhin intensiv ihre Tiere, dokumentierten deren Sozialverhalten in der Gruppe und auch die Vorlieben Einzelner. Und dann konzipierten sie eine neue Stallanlage. Es schlug die Geburtsstunde der offenen Ställe und der (inzwischen eingetragenen) Marke "Harzer Heuschwein". Einfach war dieser Weg nicht, gesteht Karl-Heinz Koithahn etwas bedrückt. Doch schnell kehrt das Leuchten in die Augen des dreifachen Familienvaters zurück: "Nach Benjamin und Tim Felix beginnt nun auch Madeline bei uns." Stolz und optimistisch berichtet er, wie der eine Sohn als Fleischermeister und Betriebswirt den Versand leitet, der andere seinen Platz in der Produktion einnimmt und sich seine Tochter nach erfolgreichem Studium um das Marketing kümmert.
Doch was ist nun das Besondere am Harzer Heuschwein? Aus einer Aufzucht in Göttingen-Geismar kommen die Ferkel, eine Kreuzung aus Duroc (USA), Pietrain (Belgien) und der Altdeutschen Landrasse. Die Tiere liefern besonders hochwertiges, von feinen Fettadern durchwirktes Fleisch. Sie sind sehr sensibel. Die Koithahns und ihre Partner-Landwirte bieten den Tieren ein behütetes Leben in stressfreier Atmosphäre.
Karl-Heinz Koithahn stolz: "Durch die gesunde, natürliche Haltung können wir auf prophylaktische Antibiotikagaben verzichten." Die Abteilungen eines Stalles sind innen mit Heu ausgelegt. Er hält uns eine Hand voll Samen unter die Nase. "Diese wohlriechenden Kräuter säen wir auf unseren Wiesen jedes Jahr aus, was dem Heu eine besondere Note verleiht. Unsere Schweine lieben den Duft!" Die etwa 1,20 Meter hohen Wände schaffen der Gruppe Rückzugsmöglichkeiten. Draußen können sich die Tiere hingegen durch die Gitterstäbe begrüßen und beschnüffeln. Auch die Reviermarkierung gehört dazu. So wird der strohbesetzte Außenbereich zur natürlichen Toilette, die Dieter Woiwode dreimal wöchentlich ausmistet.
Die letzte Reise der Heuschweine begleitet der Fleischermeister persönlich und nimmt sich dabei viel Zeit. Mehrmals in der Woche fährt er schlachtreife Tiere aus dem eigenen Stall und den Ställen seiner Partner zum Schlachthof des Fleischereinkaufs Hannover-Göttingen nach Heiligenstadt. Als Aufsichtsratsvorsitzender hat er dort Einfluss auf die Qualität der Schlachtung, als LKW-Fahrer auf die Qualität des Transports. "Durch ein von uns entwickeltes System von mehreren Türklappen gelangen die neugierigen Tiere schnell und stressfrei in den Laster, wo sie eine leckere Maisstreu erwartet", schildert Karl-Heinz Koithahn den Ablauf. "Über eine Kamera habe ich während der gesamten Fahrt die Schweine im Blick." Engagiert versucht der Hattorfer auch andere von seinen Ideen zu überzeugen, sie zur Nachahmung anzuregen. Es gelingt ihm immer öfter, wie er uns in seinem Wohnmobil ("Das ist mein Büro!") vor dem Heuschwein-Stall versichert. Seine Vorstellungen von moderner Tierproduktion artikuliert er auch in diversen Gremien, auf Veranstaltungen, selbst vor Studenten und Professoren der Göttinger Universität.
"Hier rechts auf dem Feld wächst regelmäßig Futter für unsere Tiere heran. Wir düngen die Felder direkt mit dem Mist unserer Schweine oder mit dem restlichen Substrat nach der Stromgewinnung in der Biogasanlage", erzählt er uns. Er wolle Tierschutz, Landwirtschaft und Umweltschutz in Einklang bringen. Das gebe es allerdings nicht zum Discount-Preis. Dennoch legt er Wert darauf, in ausgesuchten Supermärkten vertreten zu sein. Hier pflegt er eigene Truhen, prüft und sortiert seine Produkte selbst. "Wir informieren klar über unsere Inhaltsstoffe, die wir sorgfältig auswählen." Karl-Heinz Koithahn und seine Frau Christine kennen sich spätestens seit ihrer Weiterbildung zu "Fleisch- und Wurstsommeliers" nicht nur in der Kulturgeschichte dieser Nahrungsmittel aus, sondern verstehen auch die biochemischen Reaktionen bei deren Herstellung en détail. "Wir möchten, dass unsere Kunden wissen, was sie bei uns kaufen und auch wissen, dass wir uns um die Produktion kümmern. Nur das schafft Vertrauen", ist er überzeugt.
Der westliche Südharzrand gilt heute als Region mit besonders großer Wurstvielfalt. Das prädestiniere seine Heimat zum idealen Standort für Koithahns Wurstspezialitäten. Diejenigen mit Harzer Wurzeln tragen alle das Prädikat "Typisch Harz", so die Harzer Knüppel, Harzer Blasenmettwurst, Harzer Schinkenwurst und Harzer Rauchenden. Aber auch die Premium-Stracke. "Meine Lieblingswurst", gesteht Karl-Heinz Koithahn, der Mitte der 1990er Jahre die erste Typisch-Harz-Gemeinschaft in Stolberg mitbegründet hatte. "Für die Stracke verwenden wir handverlesenes Fleisch und eine besondere Gewürzmischung. Außerdem erhält sie in unseren traditionellen Buchenholz-Räucherkammern ihre einzigartige Note."
Nach intensiver Desinfektion führt uns Karl-Heinz Koithahn durch die Produktionsbereiche. Überall helles Licht, strahlende Fliesen sowie blitzender Edelstahl. Und moderne Technik. Die eintreffenden Schweinehälften werden sorgfältig zerlegt und sortiert. Wie am heimischen Herd braten die Mitarbeiter die Zwiebeln an, kochen die Wurst und begutachten in den Reiferäumen regelmäßig die Ware. Jeder Raum hat sein besonderes Klima, das der Dauerwurst zusätzlich ein ganz eigenes Aroma verleiht, so die alten Lehmkammern unter dem Dach. Die besonders hochwertigen Fleischteile der Heuschweine reifen in einem Dry-Aging-Schrank zu höchster Gourmet-Güte heran. Im Vorbeigehen grüßt Koithahn jeden Kollegen. In den Produktionsstätten in Hattorf und Elbingerode, den sieben Filialen sowie im Online-Shop arbeiten mittlerweile etwa 115 Menschen. Versendet wird einzeln, in vorgegebenen Sets oder ganz individuell nach Kundenwunsch.
Anfang 2020 wird sich der Betrieb vor allem für verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen der Mitarbeiter vergrößert haben. "Und hier entsteht unsere Porky-Stube", weist Karl-Heinz Koithahn auf einen angrenzenden Rohbau. "Dies soll eine kulinarische Begegnungsstätte für alle Fleisch- und Wurstliebhaber werden, ein Ort für Erfahrungsaustausch und Weiterbildung."
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