Das Motiv
Heute ist dieser Malerblick auf Ballenstedt durch ein Waldgebiet verstellt, für einen Ausblick können wir nachher den Bismarckturm auf dem nahen Stahlberg besteigen. Der Standort des Zeichners war hier beim einzigen Steinkohle-Vorkommen im ganzen Herzogtum Anhalt, dessen Flöze allerdings bereits im frühen 19. Jahrhundert erschöpft waren. Der Ort lud zum Verweilen ein, weil hier das Gasthaus „Zum Kohleschacht“ stand; ein backsteinernes Nachfolgegebäude steht noch nahebei. Das Gasthaus markierte nach einer guten Stunde die Halbzeit des Weges von Ballenstedt auf die Burg Falkenstein. Heute findet der Wanderer am ehemaligen Kohleschacht eine Sitzgruppe und eine Erläuterungstafel vor.
In der Stille dieses Ortes betrachten wir diese erstaunliche Ansicht von Andreas Balzer genauer. Er hat alle Höhen mindestens verdreifacht und Wahrheit und Phantasie kunstvoll gemischt. Als wollte er uns zeigen, was Wilhelm Blumenhagen in seinem Harzbuch 1838 auf den Punkt brachte: „Hier im Unterharz ist die unerschöpfliche Schatzkammer des Malers und des Poeten.“ Gemeint sind damit die vielgestaltigen Übergänge von den bewaldeten Hügeln zu Städten und Aussichtspunkten im offenen Land. Biologen kennen solche als die artenreichsten. Mit der Schönheit ist es also ähnlich, denn Abwechslung braucht das Auge. In einem so kleinen Ländchen wie dem der Herzöge von Anhalt-Bernburg kann durch Schaffung überraschender Höhepunkt alles optisch vergrößert werden. Die berühmte Verwandtschaft in Dessau-Wörlitz machte das gartenkünstlerisch mit Eifer vor. Ganze 4000 Einwohner hatte Ballenstedt um 1810, als diese Ansicht entstand.
Mit Andreas Balzer lernen wir den damaligen Maler-Gestaltungskasten kennen: Er führt unsere Augen auf dem Weg nach Ballenstedt, wir verweilen kurz auf der Brücke vorn über den Saubach wie seine Spaziergänger. Höchster Punkt ist das Ballenstedter Schloss mit dem Westwerk der mittelalterlichen Klosterkirche. Den setzt Balzer ziemlich genau in den Goldenen Schnitt ins linke Bild-Drittel. Die Gegensteine bilden die zartere Höhendominante im rechten Bilddrittel. Das schafft Spannung, unsere Augen wandern. Die Stadt mit den vier Türmen davor ist Phantasie, denn so groß war Ballenstedt nicht. Ebenso wie das Lusthaus auf dem Triftberg am rechten Bildrand, das wohl vom Meiseberg hierher versetzt wurde, aber wichtig ist als Beginn der Bilderzählung. Wahr ist die Aussicht bis nach Quedlinburg, kunstvoll gestaltet die ferne Silhouette von Regenstein und Blankenburg hinter dem Ballenstedter Schloss.